von Dr. Kurt Wernicke, veröffentlicht in “RuderEnergie” 4/2003, S. 16-18

Seit Juli 2003 hängt in unserem Saal eine Ansicht von Stadt und Schloss Köpenick, aus der uns der Stil der romantischen Landschaftsauffassung, wie sie etwa zwischen 1800 und 1840 die Berliner Natur- und Architekturmalerei dominierte, geradezu in die Augen springt. Natürlich ist das Bild kein Original, sondern eine Reproduktion. Das Original ist ein Gemälde in der Ausführung als Gouache (d.h. Malerei mit Wasserfarben, denen Füllstoffe, z.B. Dextrine, zugesetzt sind) im Format 52,6 x 60,2 cm, das im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen Berlin/Preußischer Kulturbesitz aufbewahrt wird.

Zur Zeit der deutschen Teilung gehörte es zu jenem Bestand des Kupferstichkabinetts, der auf der Museumsinsel in Ost-Berlin verwaltet wurde, und der Staatliche Kunsthandel der DDR vermarktete das hübsche Motiv als Plakat, das der Besucher auf der Museumsinsel sowie im Kunstgewerbemuseum im Schloss Köpenick erwerben konnte.

ln unseren Besitz gelangte das jetzt im Saal hängende Exemplar aus dem Nachlass von Dr. Manfred Rothkopf (1931-1999), der vielen Ruderkameraden noch als verbissener Skat-Enthusiast bei den mittwöchigen Trainingsstunden und den winterlichen Preisskat-Runden erinnerlich ist, und der den seit März 2000 Jahr für Jahr vergebenen Manfred-Rothkopf-Pokal für den Besten im Preisskat-Turnier gestiftet hat. Für die Familie Rothkopf war das Bildmotiv praktisch ein historisches Pendant zum alltäglichen Blick aus ihrem Wohn- wie ihrem Schlafzimmer, denn aus den wasserseits gelegenen Fenstern ihres Einfamilienhauses auf dem Grundstück Gutenbergstr. 15 blickte man direkt auf die Köpenicker Altstadt und das Köpenicker Schloss. Dr. Rothkopfs Tochter Susanne sponserte die Reproduktion nun unserem Ruderverein, weil es auf unserem Grundstück die ihm einst in der Gutenbergstr. 15 zugewiesene Rolle als Pendant zum heutigen Blick auf die andere Seite des „Köpenicker Beckens“ weiterhin zu spielen vermag.

Der Standpunkt des Malers (der sehr wahrscheinlich das Motiv zunächst nur mit Bleistift skizzierte und erst in seinem Atelier fertig gestaltete) befand sich etwa dort, wo jetzt der Köllnische Platz liegt. Der am linken Bildrand sichtbare Plankenzaun markiert den Anfang des Gutes Köpenick, das die Stadt Köpenick aus der Verfügungsmasse des 1812 von der preußischen Regierung aus purer Finanznot verkauften staatlichen Domänen-Amtes Köpenick im Jahre 1821 erworben hatte: Direkt hinter dem Zaun liegt das Grundstück, auf dem heute unser Verein sein Domizil hat.

Dem Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts fallen natürlich zwei Charakteristika in der „Skyline“ der im Bild sichtbaren Köpenicker Altstadt auf: es fehlt der Turm des im Oktober 1906 durch den „Hauptmann“ weltberühmt gewordenen Rathauses; und auch der Turm der evangelischen St. Laurentius Kirche unterscheidet sich von dem heutigen. Nun, der Köpenicker Rathausturm, mit dessen Anblick wir alle aufgewachsen sind, entstand erst während der ersten Bauphase des uns vertrauten Köpenicker Rathauses, d.h. 1901-1904 (es gab dann weitere Bauphasen 1926/27 und 1936-1938). Und der Kirchturm, den wir auf dem Bild sehen, ist noch der des Vorgängerbaus der heutigen Kirche der Evangelischen Gemeinde Köpenick. Das aus dem späten Mittelalter stammende Gotteshaus (sicherlich seinerseits schon Nachfolgebau der um 1150 unter dem Fürsten Jakza errichteten christlichen Kirche – die damit der älteste Sakralbau innerhalb der Grenzen des heutigen Landes Berlin gewesen sein dürfte) hatte seit ca. 1830 so zunehmend seine Baufälligkeit demonstriert, dass es 1837 abgerissen werden musste und 1838-1841 durch jenen Neubau ersetzt wurde, den der uns vertraute Turm ziert.

Der Kirchturm weist uns darauf hin, dass dieser „Blick auf Cöpenick“ (erst 1930 wurde vom Berliner Magistrat amtlich die Schreibweise mit „K“ verfügt) spätestens bis zum Frühherbst 1837 entstanden sein muss. Der Künstler hat auf dem Original zwar seinen Namen – Wilhelm Barth – verewigt, eine Jahreszahl jedoch nicht genannt. So sind wir auf Vermutungen angewiesen, die sich auf des Künstlers Biographie und vergleichbare Arbeiten von seiner Hand beziehen. Wilhelm Barth (1779-1851) lernte ab 1796 in der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) zu Berlin den Beruf des Porzellanmalers, und zwar offensichtlich spezialisiert in der Richtung Vedutenmalerei (Ansichten von topografischen Objekten). Als er sich im Jahre 1800 auf der Ausstellung der Berliner Akademie der Künste erstmals in der Öffentlichkeit präsentierte und dies dann 1804 wiederholte, wies er Landschaftsstücke vor. 1804 befand sich darunter ein Blick auf das Schloss Charlottenburg, und 1806 folgte die Ansicht des Marmorpalais bei Potsdam. Allerdings handelt es sich dabei immer um Ölgemälde; mit Wasserfarben beschäftigte sich Barth – nun Professor und Hofmaler – offenbar erst nach einem längeren Aufenthalt in St. Petersburg in den 1830er Jahren, was die Präsentation von 25 Landschaftsbildern in solcher Art („teils Compositionen, teils nach der Natur“, wie es im Katalog heißt) auf der Akademie-Ausstellung von 1840 zur Folge hatte. So liegt die von Experten vorgenommene Zuschreibung „ca. 1830 bis 1835“ durchaus nahe.

Barths Ansichten von Orten (darunter auch Schlössern) im Umfeld der preußischen Hauptstadt Berlin hatten offenbar auch mit seinem früheren Betätigungsfeld KPM zu tun, denn seit ca. 1820 produzierte KPM bürgerliches Gebrauchsporzellan gern mit topografischen Motiven auf Tellern, Tassen und Schalen – und da kamen Barths Veduten gerade recht. Einen Blick auf Köpenick wird man unter den KPM-Motiven allerdings vergeblich suchen. Und das hat seinen Grund: ln den 1820er und 1830er Jahren war Schloss Köpenick vom preußischen Staat u.a. auch zur Untersuchungshaftanstalt für jene Verdächtigen umfunktioniert worden, denen die Behörden im Zuge der damaligen Jagd auf Terroristen „Geheimbündelei“ vorwarfen – meist unternommen mit der verbrecherischen Absicht, ein einheitliches Deutschland als Dach über den damals 37 deutschen Einzelstaaten zu ersehnen. Zu den später als deutsche Dichter und Denker bekannt gewordenen Sündern dieser Kategorie, die im Schloss Köpenick einsaßen, gehörte z.B. 1824/25 der spätere Publizist, Philosoph und Politiker Arnold Ruge (1803-1880) – Vorfahr des bekannten Fernsehreporters Gerd Ruge. Die seit ca. 100 Jahren in Köpenick kolportierte Meinung, 1833/34 habe der plattdeutsche Mundartendichter Fritz Reuter (1810-1874) dort eingesessen, findet hingegen in den Akten zum Verfahren gegen Reuter keine Bestätigung!

Es ist wohl verständlich, dass angesichts dieser anrüchigen Funktion des Schlosses selbst die im Staatsbesitz befindliche KPM angesichts ihres bürgerlichen Kundenkreises vor diesem Motiv zurückschreckte – und mit einiger Wahrscheinlichkeit wird wohl zu konstatieren sein, dass die „Ansicht von Cöpenick“ deshalb im Kupferstichkabinett landete, weil sich ein privater Käufer nicht finden wollte…