Etwas versteckt in unserem Männerumkleideraum steht seit längerem das Bild „Der Eiertribut an der Oberspree“, das der Berliner Maler und Illustrator Carl Hermann Küchler (1866-1903) 1895 gezeichnet hat. Es zeigt ein Sportruderboot, dessen Steuermann soeben vom Personal des Restaurants „Neptuns-Hain“ den „Eiertribut“ – eine Mandel (= 15 Stück) Enteneier – in Empfang genommen hat und nun gefeiert verabschiedet wird. Auf dem Wasser sind noch letzte Eisschollen zu sehen. Sobald das Wasser im neuen Jahr eisfrei war, begann unter den Berliner Ruderklubs der Wettstreit, als erstes Boot an den Gastwirtschaften entlang der Havel und der Spree anzulegen um dort „möglichst viele solcher Eierspenden einzuheimsen“. Der „Name des betreffenden Ruderklubs“ wurde dann „nebst dem Namen des Bootes selbst und seiner Insassen an einer Saalwand jenes Restaurants verewigt.“ (So können wir es in der Beschreibung zu diesem Bild im Unterhaltungsblatt „Die Gartenlaube“ lesen.)

Bild in unserem Bootshaus

Abbildung in „Die Gartenlaube“

Wo befand sich aber das Restaurant „Neptuns-Hain“? Auf alten Stadtplänen und einer großen Landkarte im Grünauer Wassersportmuseum ist es noch eingezeichnet: Es lag in Oberspree an der schmalsten Stelle zwischen Bruno-Bürgel-Weg und der Spree, auf dem Grundstück des heutigen TiB-Wassersportzentrums. Die „Restauration Neptuns-Hain“ wurde Mitte der 1880er Jahre von Hermann Geschke auf einem vom Königlichen Forstfiskus gepachteten Waldgrundstück an der Sedanstraße 1 (später Nr. 51) errichtet und über die Jahre ständig erweitert. Später legten an der eigenen Anlegebrücke fahrplanmäßige Dampfer mit Berliner Ausflüglern an, und 6.000 Gäste fanden im Gartenrestaurant Platz, konnten dort den Klängen der Schwedter Dragoner-Kapelle lauschen oder im Palmsaal tanzen.

Karte von Berlin und Umgebung 1913

Ab 1921 konnten dort, zunächst in Bootsschuppen, später im zweigeschossigen Bootshaus „Neptunshain“, die Gesellschaft Berliner Wander-Ruderer, die Berliner Damen Ruder-Gesellschaft „Löcknitz“ und die Kanu-Vereinigung „Neptun“ ihre Boote unterbringen, später auch die Ruderriege „Jahn“. Es war aber nicht diese, sondern die gegenüber in Sadowa beheimatete Ruderriege „Jahn“ Neukölln, die sich 1929 mit der in unserem Bootshaus Gutenbergstr. 4/5 ansässigen Rudervereinigung von 1887 zur Rudervereinigung „Jahn 1887“ zusammenschloss. Ende der 1920er Jahre hatten zwischen „Neptunshain“ und dem früheren Strandbad Oberspree weitere Vereine ihr Domizil: Cöpenicker Damen-Ruder-Club, Berliner Wander-Ruder-Gemeinschaft, Ruder-Vereinigung 1924, Arbeiter-Segel-Klub „Aeolus“ und der jüdische Berliner Ruder-Club „Triton“.

1937/38 kaufte die Deutsche Reichsbahn die Grundstücke des Bootshauses und des „Grand Restaurant Neptunshain“ sowie durch „Arisierung“ auch das Nachbargrundstück des B.R.C. „Triton“ für den „Reichsbahn-Sport-Verein Berlin“. Nach Kriegsbeginn konnten die Betriebe in der Sedanstraße nur noch unter Einsatz von Zwangsarbeitern ihre Rüstungsproduktion fortsetzen. Auch die Bootshäuser und Gaststätten entlang der Oberspree dienten nun als Unterkünfte, so in „Neptunshain“ für die Präzisionszieherei Albert Pierburg KG. Am 30. März 1943 wurde bei einem englischen Luftangriff die Gaststätte „Neptunshain“ zerstört, nur die Bootshäuser blieben stehen. Nach Kriegsende brachte die Deutsche Reichsbahn im ehemaligen Triton-Bootshaus ausgebombte Eisenbahner unter. Ab 1951 wurde es dann von der BSG Lokomotive Schöneweide genutzt, das Bootshaus „Neptunshain“ von der BSG Turbine Wasserwerke, die 1956 ins Bootshaus der BSG Turbine Bewag in Grünau umzog und sich mit dieser Sektion zur BSG Turbine Berlin vereinigte.

Soweit ein kleiner Exkurs in die bewegte Geschichte unseres Ruderreviers, angeregt durch das Bild in unserem Umkleideraum. Sehr zu empfehlen ist die Besichtigung des Grünauer Wassersportmuseums, das vorübergehend einen exquisiten Platz im Regattahaus West, dem ehemaligen Olympiacafé, gefunden hat und Mittwochs und jeden letzten Samstag im Monat 10-16 Uhr geöffnet ist.

Veröffentlicht im Vereinsheft “RuderEnergie” 1/2022, S. 21 ff.

Quellen:
- Die Gartenlaube, 1895 Nr. 18 S. 307, online
https://de.wikisource.org/wiki/Der_Eiertribut_an_der_Oberspree,
- „Hip Hip Hurra! Straube's Führer für Wasser-Wanderer 1. Teil: Brandenburg“ von Friedrich Eduard Keller (1929, online auf https://faltboot.org/wiki)
- „Freibad Oberspree, Sportanlagen und vieles andere mehr im Bruno-Bürgel-Weg“ von Helmut Prochnow (2019).